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Marie

Es mag vielleicht etwas gemein und verschoben klingen, aber als ich vor einem Jahr auf die KAKS aufmerksam wurde und den ersten Kontakt zu Gleichgesinnten aufgenommen hatte, empfand ich Neid und war sehr frustriert. Um diese Reaktion zu erklären, muss ich etwas weiter ausholen.

Ich hatte ein bilaterale RB im Alter von wenigen Monaten und ein Rezidiv im Kindergartenalter. Auf Grund der ganzen Bestrahlung entwickelte sich ein Grauer Star auf meinem verbleibenden Auge und so wurde mir im Alter von fünf Jahren die Linse entfernt. Seit dem trage ich eine „Star-Brille“ oder „Lupen-Brille“, wie auch immer man sie nennen möchte. Die Brille ist recht auffällig, was mich heute aber nicht mehr stört. Das Problem an dieser Konstruktion ist vielmehr, dass ich nur durch diese kleine runde Linse im Glas sehe. Mein Gesichtsfeld ist also reichlich eingeschränkt. Zusammen mit meiner Sehkraft von etwa 40% bin ich nicht gerade der Adler unter den Einäugigen.

Ich habe in den vergangenen Zehn Jahren einige Versuche mit einer Kontaktlinse unternommen, um eine gewöhnliche Brille tragen zu können und so mehr Gesichtsfeld zu gewinnen. Leider waren diese Aktionen nie sehr erfolgreich, da eine harte Kontaktlinse mit 24 Dioptrien eine schwierige und im wahrsten Sinne des Wortes schwere Sache ist. Als ich letztes Jahr die KAKS kennenlernte, steckte ich mitten in Kontaktlinsen-Versuch Nummer 4 und erhoffte mir, den Austausch mit Menschen, die ähnliche Hürden zu überwinden haben, wie ich. Irgendwie hatte ich die Vorstellung, dass es normal sein musste nach der Bestrahlung Grauen-Star zu entwickeln und als einäugiges, linsenloses und sehbehindertes Wesen durch die Welt zu gehen. Versteht mich nicht falsch. Ich bin recht zufrieden mit meinem Leben, habe gerade meinen Bachelorabschluss gemacht, bin seit mehreren Jahren in einer festen Beziehung, habe gute Freunde und bin wirklich stolz auf mich. Jedoch ist es auch nicht immer leicht und meine Brille durch eine Alternative zu ersetzen, wäre ein riesiger Gewinn für mich.

Bei dem Austausch mit einigen wenigen Mutmachern, die auch Grauen-Star entwickelt hatten, stellte ich jedoch schnell fest, dass wir doch nicht so ähnliche Hürden zu überwinden haben. Sie hatten eine Brille, wie meine, noch nie zuvor gesehen, da sie zeitnahe eine neue Linse implantiert bekommen haben. Volle Sehkraft schien für sie auch irgendwie etwas Normales zu sein.

Vor der Bekanntschaft mit den Mutmachern war ich dankbar dafür, dass ich der Erkrankung so glimpflich davongekommen bin und immerhin noch Sehkraft habe, mit der es sich, wenn auch umständlich studieren lässt, allein in einer fremden Stadt über die Straße gehen lässt, unabhängig leben lässt.

Es war frustrierend zu erkennen, dass andere mit derselben Erkrankung mehr Glück hatten als ich. Das sie etwas haben, dem ich, wenn auch nicht bewusst, immer nachgetrauert habe. Volle Sehkraft mit einem ganzen Auge. Ich dachte immer wieder darüber nach, wie einfach doch dies und jenes wäre mit dieser Sehkraft oder wie ich sie auch gerne nenne: „Superkraft“. Ich brauchte erst einmal meine Zeit, um diese Erkenntnis zu verarbeiten und einzuordnen.

Ich beschloss, meine Situation ohne Linse und mit diesem Sichtfeld, dass mich manchmal in einen Zustand der Klaustrophobie versetzt, nicht weiter hinzunehmen. Anders als ich gedacht hatte, ist diese Situation nach unserer Erkrankung eben nicht normal. Ich ließ mich von mehreren Augenärzten beraten, nahm schließlich meinen Mut zusammen und machte einen Termin in Essen. Der Entschluss war gefasst und ich möchte mir eine Linse implantieren lassen. Eigentlich etwas Alltägliches, für mich jedoch eine Riesenentscheidung, da die Linse ins Auge eingenäht werden muss und alles etwas komplizierter und riskanter ist als normal.

Mit diesem Entschluss im Gepäck und Hoffnung, die den anfänglichen Neid auf die Anderen abgelöst hatte, fuhr ich zum Mutmacher Treffen. Ich war bereits Wochen zuvor aufgeregt und vorfreudig. Hatte allerdings auch großen Respekt vor den anzusprechenden Themen und etwas Sorge, dass die Anderen meinen anfänglichen Groll gegen sie übelnehmen könnten. Ich fühlte mich wieder wie am ersten Schultag in einer neuen Klasse und hoffte, die Anderen würden mich mögen.

Fazit: Ich wurde nicht mit dem Kopf in die Toilette gesteckt!

Dafür habe ich eine unglaublich schöne Erfahrung mit unglaublich lieben Menschen gemacht. Ich hatte ein Gefühl der Verbundenheit, das ich so noch nie zuvor erleben durfte. Es mag etwas übertrieben klingen, aber dieses Gefühl hat mein Selbstverständnis erweitert. Es hat mich zu mehr gemacht, als ich vorher war.

Und obwohl ich bei diesem Treffen die Rolle des Blinden Huhns übernommen habe, hatte ich trotzdem das starke Gefühl verstanden zu werden. Die Anderen wussten zwar nicht, wie es ist, in der ersten Reihe immer noch kein Wort an der Tafel lesen zu können oder die Fahrbahn überqueren zu müssen, um das Straßenschild auf der anderen Seite zu entziffern, aber das und mein anfänglicher Neid spielten keine Rolle.

Wir waren uns einig, wie unangenehm es sein kann, mit Passante zu kollidieren, die von der falschen Seite kommen. Wie frech Freunde sein können, die ohne einen Ton von sich zu geben, an unsere Seite treten und plötzlich „Buh“ sagen.

Ich lag abends mit meiner lieben Zimmerkollegin im Bett, vor uns unsere Glasaugen und wir philosophierten und lachten darüber, wie unterschiedlich diese Dinger doch sein können.

Bei der Erinnerung an diese Momente beim Mutmacher-Treffen muss ich schmunzeln und mir wird warm ums Herz. Ich hatte nicht daran geglaubt, aber es hat mir wirklich Mut gemacht. Mut, für meine bald anstehende OP. Mut für meine weitere berufliche Laufbahn, denn die Anderen sind verdammt schlaue Köpfe und ich weiß jetzt, dass Cedric als Ingenieur für Elektrische Wasserfahrzeuge der richtige ist, wenn es darum geht auf einer einsamen Insel zu stranden. Mut für alles, was noch kommt und die Gewissheit nicht mehr allein zu sein.
Ich freue mich schon heute die Anderen wieder zu sehen und noch mehr Betroffene kennenzulernen. Austausch und Verbundenheit gibt uns so viel und auch, wenn es abgedroschen klingt, zusammen sind wir wirklich stärker! In dieser Hinsicht bin ich der KAKS unfassbar dankbar dafür, dass sie all dies ermöglichen und auch mich zu mehr gemacht haben.

Marie
Mutmacherin