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Einzigartige Geschichten

Anna und ihr Zauberauge – Eine Mutter erzählt von der RB-Erkrankung ihrer Tochter.

„Hey, pass mit dem Stock auf! Sonst machst du mein gesundes Auge kaputt und dann SEH ICH NIX MEHR“, brüllt es lauthals über den Spielplatz im Kindergarten.

Ein Satz, der alle Erwachsenen in der Nähe kurz inne halten lässt. Denn die Urheberin des Satzes ist Anna, 3 Jahre alt und in Hashtags ausgedrückt ein #rbsurvivor. Alle in ihrem Kinder- garten wissen um ihre Geschichte, kennen die Risiken und achten immer ein klein bisschen mehr auf Anna. So überraschend und schwer ihr Weg war, so ungestüm und sorglos ist sie heute. Denn dass sie anders ist, das sieht sie nicht. Anna ist eine Fee mit Zauberauge und findet sich schön. „Denn Mama, ich mag Rosa. Blaue und braune Augen hat jeder. Deswegen möchte ich auch keine Prothese.“ Diese Art und ihre unbändige Energie sind es, die uns die letzten Monate angetrieben haben.

Nach der Diagnose ging alles ganz schnell
Bei unserer Tochter wurde im Juli 2019 kurz nach ihrem dritten Geburtstag ein unilaterales Retinoblastom diagnostiziert. Und wie sicher alle Eltern betroffener Kinder, werde ich nie den Moment vergessen, als klar wurde, was mit ihr ist, was auf uns und vor allem was auf sie zukommen wird. In einem Moment saß ich noch im Wartezimmer zur Vorsorgeuntersuchung und gehe im Kopf die nächsten Termine durch, im nächsten Moment fuhren wir rasant in Richtung Augenarzt, der uns binnen weniger Stunden ins Virchow Klinikum Berlin überwieß. Ich muss wohl nicht sagen, dass die vorher durchdachten Termine nie stattfinden.
Schnell war klar, dass ihr nur eine Enukleation helfen kann, da der Tumor bereits einen Großteil ihres linken Auges eingenommen hat. Und so liegen zwischen Diagnose und ihrer ersten OP nicht mal drei Wochen.

Wenn Zeit zäh wird
Eine Zeit, die rückblickend kurz ist, aber sich damals zog wie Kaugummi. Denn nach Annas erstem MRT war nicht klar, ob auch bereits der Sehnerv befallen war und eine vorgelagerte Chemotherapie nötig wäre. Die Berliner Ärzte waren sich unsicher und stimmten sich mit den Ärzten in Essen ab. Ein Prozess, der zwar dauerte, der uns aber ein gutes Gefühl gab. Wir mussten keine Diagnosen hinterfragen, denn die Ärzte taten es für uns und holten sich eine weitere Meinung. Für Anna war diese Zeit unbeschwert, denn noch konnte sie in den Kindergarten. Auch wenn
wir und auch die Ärzte bereit waren, jeden Tag loszulegen – egal mit welcher Behandlung. In der Zeit zog auch Elli bei uns ein. Sie wurde aufgrund einer Namensvetterin in der Familie schnell auf Lilly getauft und war nun Annas beste Freundin und Begleiterin, denn schließlich hatten beide das gleiche.
Nach einigen Tagen waren sich alle einig, dass die vorgelagerte Chemotherapie nicht nötig war und sofort operiert werden konnte. Mit dieser Entscheidung hatten wir endlich das Gefühl, etwas tun zu können. Endlich passierte etwas, endlich kam „dieses Ding“ aus unserer Tochter. Denn unsere anfängliche Unwissenheit zu dem Thema schürte auch unsere Ängste. Wächst der Tumor während des Wartens doch schneller? Was, wenn er gestreut hat? Fragen, die uns die Ärzte in Berlin immer geduldig (und mit „Nein”) beantworteten.

Neue Menschen, neue Orte
Ab in die Klinik
Für Anna war diese Zeit des Wartens und der vielen Untersuchungen ungewohnt, aber spannend. Sie lernte neue Menschen kennen, schloss Ärzte in ihr Herz und war immer mit uns zusammen. Für sie also kaum Grund zur Sorge und so ging es für sie recht schnell mit Lilly in den OP. Nach wenigen Stunden waren beide versorgt – die eine wirklich, die andere im Spiel. Meine größte Sorge waren Komplikationen. Aber: Alles gut, alles wie geplant. Könnte es später noch Komplikationen geben? Nein, bisher gab es sowas nie…
Nach zwei Tagen wurden wir entlassen. Nun hieß es wieder warten. Etwas, was ich seit dieser Zeit verfluche. Diesmal warteten wir auf die Ergebnisse der Pathologie. Braucht Anna eine präventive Chemothera- pie? Diese Machtlosigkeit dazwischen und auch die neue Situation war komisch für die Familie. Denn Anna verstand nicht so richtig, was da mit ihr passierte. Die OP war für sie kaum ein Einschnitt, denn wie wir schon früh lernten, sah sie auf ihrem linken Auge schon vorher nicht mehr viel. Aber wie sollten wir ihr eine Chemo mit allen Nebenwirkungen erklären? Die große Schwester verstand es da schon besser, aber konnte es verständlicherweise nicht so einordnen, wie es vielleicht Erwachsene tun. „Was mit Anna ist? Die hat Krebs, aber der ist bald wieder weg“, erzählt sie einer bekannten Mama auf dem Spielplatz. Nun waren wir es auf einmal, die Menschen aufbauen mussten. Dabei wussten wir selbst noch nicht, wie es weitergeht.

Zwischen Erleichterung und großen Sorgen in wenigen Tagen
Am 26.8. kam dann endlich der Anruf: Keine weitere Chemo. Mit dieser Nachricht fiel merklich ein riesiger Stein von unseren Schultern. Einer, der sich wenige Tage danach mit doppeltem Gewicht wieder rauf legte. Denn binnen weniger Stunden schwoll Annas operiertes Auge an. Wie ein Golfball thronte die Entzündung in ihrem Gesicht und schlug ihr auch gleichzeitig aufs Gemüt. Wir lernten die Notaufnahme bei Nacht kennen, doch so richtig erklären konnte es sich niemand. Ruhe und Antibiotika waren die Anweisungen. Doch das half nicht. Wenige Stunden später waren wir wieder da, denn bei Fieber sollten wir Alarm schlagen. Das taten wir und wurden stationär aufgenommen.
Die Ursache? Die konnte sich niemand erklären, denn bisher gäbe es sowas noch nicht, so die Aussage der Ärzte. Während also ein Team aus Augenärzten, Onkologen, Infektiologen und Orthopäden nach einer Lösung suchten, waren wir bei Anna. Sie bekam engmaschig eine ausgeklügelte Antibiose, mit der die Entzündung schnell verschwand. Das war gut, denn Anna war bald wieder fit und wild. Doch woher die Entzündung kam und vor allem, ob sie wieder kommen kann, das konnte niemand beantworten. Nach zwei Wochen wurden wir mit oraler Medikation entlassen. Endlich aufatmen? Fast, denn nach weiteren zwei Wochen kam die Entzündung trotz Medikamenten wieder und ließ auch das bisher gesunde Auge anschwellen.

Der sichere Weg mit viel Zeit … und vor allem Phantasie
Unsere sicherste Option war nun eine weitere OP. Die Kunststoffplombe sollte raus und mit einem Implantat aus Eigengewebe ersetzt werden. Die Ärzte erhofften sich damit endlich Sicherheit, da nicht klar war, warum die
Entzündung immer wieder kam. Nach einigen Tagen stationärer Behandlung konnte Anna endlich operiert werden. Wieder wurde sie zusammen mit Lilly in den OP gebracht und wieder kamen beide verarztet wieder raus. Diesmal hoffentlich ein letztes mal.
Wir verbrachten insgesamt vier Wochen in der Klinik. Eine verdammt lange Zeit, egal ob für Eltern oder Kleinkinder. Wieder war es Annas Unbeschwertheit und Phantasie, die uns gemeinsam durch diese Zeit und ihre zweite OP brachten. Denn bald wurde sie von den Ärzten der Station zur Assistenzärztin ernannt, wobei Und so langwierig und unbekannt die gesamte Behandlung für alle doch war, sie hat Anna niemals ihr Vertrauen genommen. Viele Untersuchungen fand sie doof und sie brauchte eine Weile, um die häufigen Blutabnahmen zur Klärung von Entzündungswerten und Co tapfer zu meistern, aber sie hatte immer ein großes Vertrauen in die Menschen um sie. So sehr, dass sie kurz nach der lang ersehnten Entlassung in nun wieder stattfindenden Diskussionen ums heimische Aufräumen wutentbrannt brüllte:
„So Mama, ich ziehe jetzt zu Herr Dr. M. Bei ihm muss ich nie aufräumen.“
Da wäre ich mir aber nicht so sicher.